Der Beschuss der Stadt Hohenberg a.d. Eger vom 20. bis 25. April 1945

Kriegssende vor 80 Jahren:
Der Beschuss der Stadt Hohenberg a.d.Eger vom 20. bis 25. April 1945. erlebt und niedergeschrieben von einer Hamburger Schülerin

Nach der Hamburger Bombenkatastrophe am 24./25. Juli 1943 – damals kamen ca. 40.000 Menschen ums Leben – wurden zahlreiche Schulen der Hansestadt geschlossen und ganze Schulsysteme evakuiert. Die Oberschule für Mädchen (OfM) in Altona kam ab Herbst 1943 in das KLV-Lager auf Burg Hohenberg a.d.Eger (Kl. 1 bis 4) und nach Schirnding „Gasthof Ruß“ (Kl. 9 und 10). Die Schülerinnen mussten hier bis zum Sommer 1945 bleiben, bis sie wieder zurückkehren konnten.

Nachfolgend wird der Original-Bericht einer 13jährigen Schülerin wiedergegeben, die den Beschuss von Hohenberg hautnah miterlebte und ihre Erlebnisse Mitte Mai 1945 in einem Schulheft niederschrieb.

Karin Necke, geb. 13.07.1932 [ später verh. Grossmann], Hamburg, schreibt:
„Es wurde immer mulmiger, die Feinde rückten immer näher heran, bis Selb und Asch sollten sie schon sein. Genaues wussten wir nicht. Der Geschützdonner wurde immer lauter, von fernher sahen wir schon Rauchwolken. Uns alle befiel eine heimliche Angst. Tagtäglich kreisten Flieger über uns, wir mussten uns hauptsächlich vor Tieffliegern in Acht nehmen. Das Dorf wimmelte von Soldaten. Frl. Krüger [Studienrätin] sagte uns, wenn die Feinde kommen sollten, wollen wir dann ins Bienenhaus [Bie`haus = Weidighaus] gehen. Es kam aber alles ganz anders.

Torturm 1945

Frl. Krüger wies uns am 19.4. – einen Tag vor des Führers Geburtstag – an, dass wir alle unsere Sachen packen sollten, das Nötigste zum Mitnehmen. Wir stürmten alle an unsere Spinde, packten alles ein und zogen uns, wer weiß was alles, an. Ich hatte ein paar Hemden und Hosen an. Einige hatten sechs Kleider an.…..Herr Direktor Groth hielt eine kleine Ansprache beim Morgenappell zum Geburtstag des Führers, da sagte er noch: „Man weiß nicht, was der Tag noch bringen wird.“ Wir brachten [Sitz-]Böcke und schon etwas Gepäck in den zugewiesenen Keller am Friedhof. Es war furchtbar feucht da drin.

Um 1 Uhr sollten wir auf den Burghof mit unserem ganzen Gepäck antreten. Nun machten wir kleine Namens-Schildchen für die Koffer und Kasten. Es war eine furchtbare Unordnung im ganzen Haus. Die meisten saßen im Tagesraum, viele packten noch.

Mit einem Male gab es einen fürchterlichen Knall, wir stürzten alle zu der Tür und hinunter. Ich hatte meine Sachen im Tagesraum, halb war ich schon zur Tür raus, als ich dachte: „Deine Sachen willst du mitnehmen.“ Ich mich wieder zurückgedrängelt, meine beiden Mäntel und meine Aktentasche genommen, meine Wandertasche kriegte ich nicht mehr zu fassen und hinunter. Neben den Waschraum in den kleinen Keller ging ich mit einigen rein, alle gingen da nicht rein. Inzwischen krachte es immer wieder. Frau und Herr Bayer, Erna, Gerd und Vera kamen auch ganz aufgeregt herein. Als es ruhiger wurde, ging Herr Bayer hinaus und sah nach, wie es draußen stand. Als er wieder kam, sagte er, dass alles brennt. Bayers Wohnung [im Torturm] hatte auch schon Feuer gefangen.

Die Lehrerinnen riefen ihre Klassen zu sich, ich weiß nur noch, dass wir durch die Küche gelaufen sind, draußen brannte und qualmte alles, das schlimmste war der [Feuer-] Sturm, die Sonne schien auch. Vor mir liefen alle raus, ich hinterher. Ich höre jetzt immer noch das Knistern des Feuers, als wir über die Zugbrücke liefen, es war eine furchtbare Hitze. Das letzte Tor brannte lichterloh und feuerige Stücke flogen immer runter. Ich dachte immer nur „durch“. Die Kirche, das Lamm (Gasthof „Weisses Lamm“), überhaupt der ganze Marktplatz brannte. Auf der Straße standen Soldaten und riefen, dass wir zum Rathaus die Straße runterlaufen sollten. Frl. Athen und Frl Maus [Lehrerinnen] liefen den Weg beim Rathaus zum Bad runter und riefen immer: „Kommt hier längs, zum Bad [an der Eger bei der Hammermühle] runter in die [Bade-] Kabinen, da brennt es nicht!“ Ich wusste nicht, wo entlang ich laufen sollte, denn einige liefen die Straße weiter runter, da rief Frl. Ritzmann: „Kommt mit in unseren Keller!“ Ich bin dann mit Frl. Ritzmann gelaufen. Am Künzelkeller, gleich hinter dem Rathaus, stand Herr Below und winkte uns, wir sollten da rein kommen. Unten war schon alles voll von der Bevölkerung. Zuerst hatten wir keine Sitzplätze, nachher haben wir auf Brettern gesessen. Auf einem Bett aus Matratzen zusammengebaut, lagen zwei verwundete Soldaten, die wurden bald danach abgeholt. Eine Frau ging herum, und verteilte braune Kuchen an alle, dass war sehr nett. Nachher hat noch eine Frau nur an uns Brot verteilt, wir waren 22 [Mädchen] mit Frl. Ritzmann. Mit einem Male kam Irmgard Munz (Munzi) herein, sie hatte uns gesucht, wir waren die Ersten, die sie fand. Sie gab uns die Nachricht, dass Herr Direktor im Burggraben säße und noch Sachen [aus der Burg] rausgeholt hatte. Er passe auf, dass nicht geplündert wird.

Dann sind wir in unseren Keller gegangen, zuerst waren wir ja ungehalten darüber, nachher haben wir uns doch gefreut, denn den Friedhofskeller hatten für uns, da drin konnten wir uns einrichten, wie wir wollten.

Draußen haben wir uns mal so umgesehen, die ganze Straße war voll Schutt, Ziegelsteinen und Drähte hingen herab. Einige Häuser qualmten noch. Im Friedhofskeller waren nicht so viele Leute wie im Künzelkeller. Die Berliner Mädel sind mit Herrn Below im Künzelkeller geblieben. Munzi war mit 2 Mädeln und Hannelore Beltrop in einem Felsenkeller alleine, sie kamen mit zu uns. Wir haben uns erstmal eingerichtet, es waren ja genug Böcke da, mit der Zeit wurde es ziemlich hart, wir wussten nicht mehr wie wir sitzen sollten. Als wir uns so einigermaßen eingerichtet hatten, gab es was zu Essen, Brot mit Honig und einen Bonbon. Wenn wir rein und raus wollten, mussten wir immer durch Matsch gehen, nachher wurden Bretter hingelegt. Frl. Ritzmnann und Herr Direktor gingen immer weg, um mal draußen nach den Rechten zu sehen.

Vorne im Eingang lag ein krankes Mädchen, dass hatte einen Bauchschuß bekommen, es ist gleich am nächsten Tag gestorben. In diesem Keller waren auch nette Leute. Am nächsten Morgen brachte uns eine Frau heißen Kaffee, der tat uns allen gut, denn wir waren furchtbar durchgefroren. Munzi hatte im Egertal schicke Erbsensuppe für uns organisiert. Inzwischen waren Herr Direktor und Frl. Ritzmann schon unten in den [Bade-] Kabinen gewesen und hatten die anderen ausfindig gemacht, nur Frl. Krüger mit einer Schar hatten wir noch nicht gefunden. Am nächsten Tag, kamen welche von draußen, sie waren gerade beim Waschen, und sagten, dass die Leute gesagt hätten, Hohenberg würde doch verteidigt werden und wir müssten alle raus. Das schreckte uns alle sehr, wir machten unsere Sachen schon zurecht. Frl. Ritzmann und Herr Direktor waren noch nicht mal da. Als Frl. Ritzmann dann kam, sagte sie, dass der Bürgermeister gesagt hätte, dass alle in den Kellern bleiben sollten. Mit einem Male kam Frl. Krüger herein, sie wollte nach uns sehen und was zu essen holen, denn wir hatten von Brunner [Bäckerei] Brot bekommen. Eine Kochstelle hatten wir auch ausfindig gemacht, Frau Sack wollte für uns kochen, Pellkartoffeln bekamen wir von ihr geliehen. Herr Bayer und Erna hatten eine Leiter gefunden, damit sind sie beim eingestürzten Wehrturm [=Großer Stuckturm] hochgeklettert, und haben Proviant, Mäntel und Decken geholt.

Jeder Tag war derselbe, schlafen, essen, ein bischen Luft schnappen und erzählen.

Die Feinde waren schon in Sommerhau und auf dem Plattenberg. Wenn wir mal verschwinden [austreten] mussten, konnten sie uns sehen, sie haben aber nicht auf uns geschossen. Wenn wir raus gingen, mussten wir manchmal scharf aufpassen, denn es gingen öfters amerikanische Schleichpatrouillen (her)rum. Die Egerbrücken waren gesprengt worden, das gab einen furchtbaren Knall. In den Pausen , wo die Artillerie nicht schoss, schnappten wir frische Luft, oder gingen zum Waschen, denn das tat immer not. Das Wetter hatte sich auch geändert, die Sonne schien nicht mehr, es regnete immer. Die andern aus Klasse 4, die mit Frl. Krüger waren, kamen rauf, dafür gingen welche aus unserer Klasse runter [zum Bad], nur Irmgard Grotefend und ich blieben oben. Irmgard weil ihre Schwester oben war und ich wegen Hannerle, außerdem fühlte ich mich sicherer im Keller. Einmal kamen die Männer, die immer draußen oder auf der Treppe standen, rein, und sagten, dass sechs bis sieben Spähwagen auf der Straße von Sommerhau kämen, da fing die Artillerie und die Maschinengewehre auch schon an zu schießen. Herr Direktor ging nach dem Geknatter raus, da sah er den ersten Amerikaner, es war ein Gefangener, die (Späh)Wagen hatten unsere Soldaten zurückgeschlagen.

Herr Direktor wurde der Essensversorger vom ganzen Keller. Wir bekamen Fleisch, und nun gab es jeden Mittag und Abend Gemeinschafts-Verpflegung, Frau Sack kochte es. Es gab Gulasch und Pellkartoffeln und zum Abend Kartoffelsalat. Der Volkssturm hatte die Panzersperren runtergemacht [=geschlossen]. Die Bevölkerung schalt [schimpfte] darauf, dass Hohenberg verteidigt wurde und dass die Panzersperren runter waren., aber sie konnten nichts dagegen machen.

In Schirnding sollten schon die Feinde sein, es sollten nur ein paar Häuserkämpfe gegeben haben. Am Morgen des 25.4.1945, wir waren gerade aufgewacht, kam ein Mann rein und sagte, dass die deutschen Soldaten abgerückt und die Panzersperren geöffnet worden sind. In einigen Minuten könnten die Amerikaner da sein. Einige waren draußen zum Verschwinden, die kamen rein gestürzt und sagten, dass sie die Amerikaner gesehen hätten. Ich wollte auch gerade rausgehen, ich war gerade am Eingang unseres Ganges, als ein Amerikaner vor mir stand, eine Frau leuchtete ihm und sagte, dass hier nur Kinder wären, der nickte nur mit dem Kopf und ging wieder. Wir sind dann alle mit unserem Waschzeug raus gegangen, um uns zu waschen. Da sahen wir die Amerikaner, einige gingen langsam herauf. Jedes Haus durchsuchten sie. Der eine sagte grinsend zu uns: „Ihr Rußkies?“ Wir sahen auch gerade nicht einladend aus, von den sechs Tagen im Keller. Die Leute standen alle auf der Straße. Als ob die Amerikaner das Wetter mitgebracht hätten, es war heute der schönste Sonnenschein. Über die Saatfelder gingen die Soldaten und fuhren die Panzer und die Spähwagen. Einige Leute zogen schon wieder mit Sack und Pack in ihre Wohnungen, so weit sie noch heil waren. Wir waren den ganzen Tag draußen. Diesen Mittag gab es noch mal Gemeinschaftsverpflegung, es gab Pellkartoffeln und Gulasch. Wir holten unsere Sachen aus dem Keller zum Auslüften. Die Amerikaner kümmerten sich nicht weiter um die Bevölkerung, die aßen Waffeln mit goldgelben Käse und ganz weißes Brot. Die ganze Straße lag voll Papier und Unrat. Am Abend kochte Frau Sack noch mal für uns, wir hatten von Frau Bayer Grieß, Butterschmalz und Zucker bekommen. Zum Abendbrot gab es einen schicken Grießbrei. Zur Nacht kamen alle Leute wieder, denn wir dachten, dass die Deutschen nun nach Hohenberg herein schießen würden, aber kein einziger Schuß fiel, dafür schossen die Amerikaner desto mehr raus aus Hohenberg.

Am nächsten Morgen ging Frl. Ritzmann mit einigen, worunter auch ich war, in die Burg zum Aufräumen. Wir sind über die Eisenträger balanciert. Herr Bayer war schon dabei die Brücke wieder instand zu setzen. Wir haben den Flur und die beiden Tagesräume sauber gemacht. Auf der Treppe lagen Zigarettenstummel, und im kleinen Tagesraum stand eine Flasche „Bordeauxwein“. Viel hatten die Amerikaner nicht durchgewühlt. Es waren hauptsächlich im Tagesraum und darüber im Führerinnen- und Krankenzimmer die [Fenster] Scheiben kaputt gegangen.

Zum Mittagessen sind wir alle wieder in die Burg gezogen. Wir freuten uns schon auf den Abend, wo wir in unserem weichen Bett schlafen konnten. Wir haben unsere Burg jetzt noch mal so lieb gewonnen.“


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